Unsere Haltung
Freiheit und Zwang sind seit jeher sowohl in der Erziehung als auch in der stationären Jugendhilfe eng miteinander verbunden – oft mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Auch im Bereich offener stationärer Jungendhilfemaßnahmen lassen sich Kinder, Jugendliche und deren Eltern manchmal nur auf stationäre Hilfen ein, um weitere sorgerechtliche Schritte zu vermeiden.
Zwang ist oft ein ständiger Begleiter der Jugendhilfe. Wenn wir Fachkräfte ihn annehmen und benennen, können wir mit ihm arbeiten und zusammen mit allen Beteiligten nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. Gestaltet sich der dann folgende Hilfeprozess unter selbstverständlicher Einbeziehung der Eltern und Partizipation der Kinder und Jugendlichen im pädagogischen Alltag, kann aus dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ oft eine tragfähige professionelle Beziehung werden, auf dessen Grundlage sich weitere positive Entwicklungen anstoßen und realisieren lassen.
Lebensräume suchen
Im Bereich der Wohngruppen mit freiheitsentziehenden Maßnahmen wird dieser generelle Zwangskontext der stationären Jugendhilfe durch die geschlossene Form der Unterbringung nochmal besonders deutlich hervorgehoben. Er stellt im Leben von jedem Menschen immer einen gravierenden Einschnitt in persönliche Freiheitsrechte dar, was insbesondere für Kinder und Jugendliche gilt. Denn Jugendliche befinden sich normalerweise in einer Lebensphase, die von Ablösung, zunehmender Selbstbestimmung und Eigenverantwortung gekennzeichnet ist. Jugendliche probieren aus und suchen bewusst Lebensräume, die nicht ständig der Aufsicht von Erwachsenen unterliegen. Das entspricht den Anforderungen der Entwicklungsphase von Jugendlichen auf dem Sprung ins Leben als junger Erwachsener.
Die optima ratio
Doch was ist, wenn diese Entwicklungsphase unter deutlich belasteten und erschwerenden Umständen stattfindet? Wenn traumatisierende Lebenserfahrungen bei jungen Menschen dafür gesorgt haben, dass sie sich bei zunehmender Selbstbestimmung für selbst- oder fremdgefährdende Verhaltensweisen „entscheiden“? Wenn Kinder und Jugendliche sich in Beziehungen zu anderen Menschen begeben, die ihnen nicht gut tun und deutliche Gefahren für die eigene Entwicklung mit sich mitbringen? Wie weit muss eine negative Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen vorangeschritten sein, um die Unterbringung in einer freiheitsentziehenden Wohngruppe als „ultima ratio“ ethisch zu rechtfertigen?
Wir vertreten die Haltung, dass nicht das Maß der Auffälligkeiten im Verhalten von Kindern und Jugendlichen die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme legitimieren sollte, sondern das Verständnis aller Beteiligten im jeweiligen Einzelfall darüber, dass der Zwangskontext im Bereich einer Wohngruppe mit freiheitsentziehenden Maßnahmen eine Hilfe sein kann. Diese Entscheidung soll gefällt werden im Sinne einer „optima ratio“, durch die für eine gewisse Zeit ein sicherer Schutzraum gewährt wird, um negative Entwicklungsspiralen anzuhalten und zu durchbrechen.
Keine Strafmaßnahme
Die Unterbringung im Rahmen freiheitsentziehender Maßnahmen ist keine Strafmaßnahme und sollte in der Lebenswelt aller Beteiligten auch nicht so verstanden werden. Vielmehr geht es um einen Schutzauftrag zur emotionalen wie sozialen Stabilisierung. Wenn Eltern, Kinder, Jugendliche, Jugendamtsmitarbeiter und pädagogische Mitarbeiter der durchführenden Einrichtung gemeinsam diese Haltung teilen, dann hat die Unterbringung im Bereich der freiheitsentziehenden Maßnahmen eine gute Chance auf Erfolg.