AlexTalk zum Thema Forensik – Vor- und Nachsorge große Themen.
Ich nehme viele Anregungen aus dem heutigen Gespräch mit“ versicherte Maria Klein-Schmeink nach dem jüngsten AlexTalk am vergangenen Dienstag. Gemeinsam mit dem Ärztlichen Direktor der Christophorus Klinik, Prof. Dr. Dieter Seifert, hatte die Grünen-Bundestagsabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecherin der Partei auf dem Podium zum Thema Maßregelvollzug Rede und Antwort gestanden. Ein brandaktuelles Thema in Münster, wie die Lockerungsdebatte am Klinikstandort Amelsbüren erst unlängst gezeigt hatte.
Nach einer allgemeinen Einführung über Forensische Psychiatrie ging es schnell ans Eingemachte, Moderator Stefan Werding von den Westfälischen Nachrichten lud schon während des Vortrags immer wieder zu Fragen ein, was die Zuhörer in der Alexianer Waschküche gerne annahmen.
"Bin ich vor den Tätern sicher?“ startete eine junge Frau in die Diskussion – rund 8.000 Patienten leben derzeit im Maßregelvollzug. Sie alle hat das Gericht aufgrund einer psychischen Erkrankung für vermindert schuldfähig oder ganz schuldunfähig erklärt. „Gefährlichkeitseinschätzung gehört zur alltäglichen Arbeit in der Forensik“, antwortete Seifert. Durch therapeutische Maßnahmen, eine vertrauensvolle Bezugspflege auf den Stationen und kleinschrittige Lockerungsstufen, die teils über Jahre gehen, lernen die Therapeuten die Patienten sehr gut kennen. Anhand dieser umfangreichen Informationen wird die Gefährlichkeit der Patienten eingeschätzt, die Basis für den weiteren Werdegang des Patienten sind: Verbleib in der Klinik oder nächste Lockerungsstufe bis hin zur Beurlaubung und Entlassung? Durch die intensive und langfristige Behandlung von forensischen Patienten lassen sich die im Vergleich zum Regelvollzug (Justizvollzugsanstalten) niedrigen Rückfallzahlen erklären.
In einem waren sich Zuhörer und Referenten sehr einig: Vor- und Nachsorge für psychisch Erkrankte, aber auch für die, die Täter geworden sind, müssen weiter ausgebaut werden. Das beginne schon bei der Grunderkrankung: Oftmals monatelange Wartezeiten auf einen Therapieplatz bei schwerwiegenden psychiatrischen Diagnosen können diese verstärken. Ebenso sind nach einem Aufenthalt im Maßregelvollzug häufig nur mit erheblichem Aufwand geeignete Nachsorgeeinrichtungen wie Wohnheime zu finden. Ein Patient wollte gar nach seiner Entlassung in der Christophorus Klinik bleiben, weil er keine Unterkunft fand, berichtete Seifert. Ein Zuhörer fasste zusammen: „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem!“, was Klein-Schmeink und Seifert bestätigten. Zum Thema Opferschutz: „Auch die Therapie der Täter ist Opferschutz“. Für Täter und Opfer müsse es passgenaue Hilfesysteme geben.
Klein-Schmeink nannte als Musterbeispiel die skandinavischen Länder: Hier gebe es in gemeindlichen Einrichtungen schnelle, multiprofessionelle Hilfe für psychisch Kranke. Mitarbeiter seien dort übergreifend als Seelsorger und Erst-Therapeuten tätig. „Wir dürfen Menschen mit psychischen Erkrankungen jeder Art nicht so lange alleine lassen“, so die Politikerin.
Und auch im Maßregelvollzug gibt es noch Verbesserungsbedarf, wie beide Referenten abschließend betonten. Ein erster Schritt ist eine Gesetzesnovelle vom 1. August 2016, nach der nunmehr die Gerichte intensiver die Verhältnismäßigkeit der Unterbringungsdauer überprüfen müssen. Im Klartext heißt das, dass Patienten, die ein vergleichsweise geringes Delikt begangen haben, nicht mehr unverhältnismäßig lange Jahre in den Kliniken bleiben sollen. Derzeit sei es immer noch so, dass psychisch kranke Rechtsbrecher deutlich länger der Freiheit entzogen werden als psychisch gesunde Straftäter.