Die „Anstalt“ am Rande der Stadt

Als im Jahr 1200 das Rittergut „Cane“ erstmals in Dokumenten erwähnt wurde, ahnte sicher niemand, welche bewegte Geschichte die Gemäuer in den kommenden 800 Jahren erleben würden. Fest steht: Die Ordensgemeinschaft der Alexianerbrüder spielt bis heute in dieser Geschichte eine der bedeutendsten Rollen!

Unsere Arbeit hat nur dann einen Sinn, wenn wir niemals diejenigen aus den Augen verlieren, für die die Alexianerbrüder ihre Einrichtungen geschaffen haben: Die Menschen am Rande der Gesellschaft.

Stephan Dransfeld, Regionalgeschäftsführer Alexianer Münster GmbH

Die Geschichte der Alexianer in Münster

Im späten 19. Jahrhundert wollten sich die Alexianerbrüder auch in Münster niederlassen, die Stadtväter verweigerten jedoch eine zentrumsnahe Ansiedelung in der Domstadt.

Die Hammer Straße, heute eine wichtige Verkehrsachse und Geschäftsstraße, sei kein passender Ort für Alte, Kranke und Behinderte. Diese seien außer Sichtweite am Stadtrand besser aufgehoben, hieß es damals. Mit dem alten Rittergut, das inzwischen „Haus Kannen“ hieß, war 1887 in Amelsbüren eine Heimat gefunden. Eine Heimat für die Brüder, eine Heimat für Menschen mit Behinderung. Der erste Bewohner zog am 31. Januar 1888 aus der „Irrenabteilung“ des Münsteraner Clemenshospitals in Haus Kannen ein, weitere folgten in den kommenden Tagen.
Die Zahl der Bewohner, damals noch Patienten genannt, stieg in den kommenden Jahren rasant an: Mehr als 200 Menschen mit Beeinträchtigungen lebten 1895 in „Haus Kannen“. Sie zu versorgen machte viele Bauarbeiten erforderlich. Das markanteste Bauwerk, der Wasserturm, wurde 1912 fertiggestellt und entwickelte sich schnell und bis heute zum Wahrzeichen des Campus.   

 

Rückschläge im ersten Weltkrieg

Im frühen 20. Jahrhundert lebten fast 400 Menschen in der „Heil- und Pflegeanstalt Haus Kannen“. Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges verschlechterte sich die Betreuungssituation im Haus Kannen, wie auch in anderen Pflegeeinrichtungen, dramatisch:

Die Essensrationen wurden durch den Staat verknappt, viele Alexianerbrüder wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Durch die guten Erträge des eigenen Ackerlandes konnten die Alexianer ihre Bewohner zwar einigermaßen versorgen, dennoch blieben auch sie von den Hungerepidemien nicht verschont. Die pflegerischen und wirtschaftlichen Verluste überwanden die Alexianer nur mühsam.

Das Ende der Weimarer Republik

In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg wurde „Haus Kannen“ – wie es übrigens von eingesessenen Münsteranern bis heute genannt wird – mehr und mehr ausgebaut.

Um 1926 wurde die sogenannte Arbeitstherapie eingeführt. Die Sparmaßnahmen zum Ende der Weimarer Republik (etwa die Kündigung von Belegungsverträgen und Pflegesatzkürzungen) engten zwar den finanziellen Spielraum der Brüder, nicht jedoch deren Pioniergeist ein: Mit dem Erwerb des „königlichen Busches“ in der Nachbarschaft wurde ein Naturpark mit Sportplatz ermöglicht.

Das schwärzeste Kapitel

Verleumdung, Rechtsbeugung, wirtschaftliche Repressalien – auch die Alexianerbrüder wurden vom Regime der Nationalsozialisten nicht verschont. Im Juli 1937 wurden entgegen der massiven Proteste der Alexianer mehr als 130 der insgesamt 520 Bewohner in staatliche Anstalten verlegt.

Die Bedrohung durch Euthanasie immer deutlicher vor Augen, versuchten die Alexianer unter Federführung von Bruder Gereon Wittkamp die Bewohner in befreundete, vermeintlich sichere Einrichtungen zu verlegen. 106 Bewohner verloren letztlich in der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten ihr Leben. Die flammende Rede des „Löwen von Münster“, Clemens August Kardinal von Galen, kam für sie zu spät. Bis heute gedenken wir der getöteten Bewohner jährlich am 27. Januar. Als das Münsteraner Clemenshospital durch Bombentreffer zerstört wurde, wurde Haus Kannen zum Ersatz-Krankenhaus und der Betrieb des Clemenshospitals nach Amelsbüren verlegt.
 

Neue Maßstäbe in der Pflege

Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die Alexianerbrüder von großen Herausforderungen: Viele Häuser waren beschädigt, viele Hilfesuchende klopften an die Klosterpforten – zumeist alleinstehende und kriegsverletzte Männer.

Altersheime wurden eingerichtet, jedoch fehlte es an Vielem, etwa Kleidung und Schuhen. Das Generalat der Alexianer, in den USA beheimatet, schickte Bekleidung und 5.000 Dollar zur Linderung der ersten Not. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft konnte der Hunger gestillt werden. Ab den 1950er Jahren wurden die Aktivitäten der Alexianer mit neuem Geist erfüllt. So wurden die großen Schlafsäle aufgeteilt, freundliche Tagesräume geschaffen und weitere Häuser errichtet. In den Handwerksbetrieben und der Landwirtschaft wurde vieles modernisiert und die Freizeitgestaltung der Bewohner gewann an Bedeutung.

Der Aufschwung

Mit Beginn der 1980er Jahre erlebte Haus Kannen einen weiteren Aufschwung. Richtungsweisende Schritte waren die Professionalisierung als Krankenhausbetrieb und der Ausbau der Therapiebereiche.

Die Brüder spürten die ersten Nachwuchssorgen und gaben sowohl die Pflege, als auch die Verwaltung mehr und mehr in weltliche Hände. 170 Betten im Akut- und 330 Betten im Wohnbereich bildeten die Basis. Im Jubiläumsjahr 1988 beschäftigte die damals gegründete Alexianer Krankenhaus Münster GmbH rund 250 Mitarbeiter. Man folgte dem Zeitgeist und dem wissenschaftlichen Fortschritt, Menschen mit Behinderungen immer selbstständigere und selbstbestimmtere Leben zu ermöglichen.

Immer wieder neue Wege

Seit den Anfängen hatten die Alexianerbrüder immer wieder den Mut und Enthusiasmus, neue Wege zu bestreiten. Startend mit dem Clemens-Wallrath-Haus, dem ersten Gerontopsychiatrischen Zentrum, über Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz bis hin zur Öffnung des Campus übernahmen die Alexianer gerne Projekte mit Modellcharakter.

Im Jahr 2001 stellten sich die Münsteraner Alexianer einmal mehr selbstbewusst ihrer tief verankerten Verantwortung für Menschen am Rande der Gesellschaft: Sie erhielten die Zusage für den Betrieb einer forensischen Psychiatrie – einer Einrichtung für psychisch kranke Rechtsbrecher, die aufgrund Ihrer Erkrankung vermindert schuldfähig oder schuldunfähig sind. Ein Projekt, das wichtig und mutig war, aber in der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Nach intensiven Gesprächen und kontroversen Beratungen wurde die Christophorus Klinik 2011 eröffnet. Bis heute wird die Klinik kritisch betrachtet, ein eigens gegründeter Beirat unterstützt dabei, das Verständnis für den Maßregelvollzug zu fördern.
Auch im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie waren die Münsteraner Vorreiter innerhalb des Alexianer Verbundes und nahmen sich in den frühen 2010er Jahren mehr und mehr des Themas Kinder- und Jugendhilfe an. 2013 begingen die mittlerweile fast 2.500 Mitarbeiter ein rauschendes Jubiläumsjahr. Bei den verschiedenen Aktionen, die aus Mitarbeiterideen entstanden, feierten Bewohner, Patienten, Klienten und Kollegen gemeinsam unter dem Motto:
Wir sind Alexianer!

 


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