Quälende Angst – Angststörungen

Angst ist eine gute Sache. Angst warnt uns vor Gefahren und ermöglicht schnelles, nachhaltiges Lernen. Angstfreie Menschen geraten immer wieder in dieselben Schwierigkeiten, ohne aus Erfahrung klüger zu werden!

Allerdings kann Angst zum quälenden, lebensbehindernden Problem werden, wenn sie ihre Signal- und Lernfunktion verliert. Wir sprechen in diesem Fall vom Vorliegen einer Angststörung.

Beim Heranwachsenden und beim Erwachsenen werden die folgenden verschiedenen Formen von Angststörungen unterschieden:

Bei den spezifischen Phobien handelt es sich um relativ häufige situationsgebundene Ängste, die die Betroffenen als übertrieben und damit irrational ansehen. Klassische Beispiele sind Ängste vor „gefährlichen“ Tieren wie Spinnen oder Schlangen oder „gefährlichen“ Situationen wie Höhen, Naturgewalten (Gewitter), Blut und Spritzen oder „gefährlichen“ Tätigkeiten wie Aufzugfahren und Flugzeugfliegen. Obgleich die Betroffenen wissen, dass die gefürchteten Situationen vergleichsweise ungefährlich sind, lösen sie starkes Angsterleben aus. Aus Angst vor den gefürchteten Konsequenzen vermeiden viele zunehmend diese Situationen, wodurch es zu einer Zunahme der entsprechenden Ängste kommt und die Funktionsfähigkeit signifikant beeinträchtigt wird.

Soziale Ängste treten in der Gegenwart anderer Personen auf. Die Betroffenen haben Angst vor der möglichen negativen Bewertung ihres Verhaltens oder ihrer Person. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es um Interaktionen mit anderen geht (Gespräch, Party, neue Leute kennen lernen), wenn das eigene Verhalten beobachtet werden könnte (öffentliches Essen, Trinken, (Unter-)Schreiben) oder wenn man sich selbst in der Öffentlichkeit darstellt (Referat oder Rede halten). Schüchternheit ist noch keine Sozialangst, allerdings kann sich aus Schüchternheit eine soziale Phobie entwickeln, die die schulischen, beruflichen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten der Betroffenen erheblich einschränken kann. Angesichts der Tatsache, dass diese Problematik gut behandelt werden kann, ist es bedauerlich, wie häufig aufgrund „krankhafter Schüchternheit“ erhebliche Fehlentwicklungen festzustellen sind.

Kennzeichnend für die Panikstörung sind Angstanfälle, die aus „heiterem Himmel“ auftreten:  Die Betroffenen bekommen Herzklopfen, fangen an zu schwitzen, sie zittern, erleben Kurzatmigkeit, Beklemmungs- oder Erstickungsgefühle, Übelkeit und Bauchbeschwerden, Schwindel, Kälte- oder Hitzeschauer, Missempfindungen, Derealisations- und Depersonalisationserleben und entwickeln die Furcht, die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden oder zu sterben.

Die so beschriebenen, durch eine starke körperliche Reaktion charakterisierten Panikattacken können vereinzelt auch im Rahmen anderer psychischer Störungen auftreten. Kommen diese jedoch häufiger vor und führen zu einer ständigen Furcht vor weiteren Panikattacken bzw. zu einem sich ständig ausweitenden Sicherheits- und Vermeidungsverhalten, so sprechen wir von einer Panikstörung.

Unter Agoraphobie verstehen wir die Angst, sich in Situationen zu begeben, aus denen eine Flucht schwierig bzw. peinlich sein könnte oder in denen nur schwerlich Hilfe zu erreichen ist. Dementsprechend vermeiden die Betroffenen öffentliche Verkehrsmittel (Bus, Flugzeug), offene Plätze (Märkte, Brücken), umschlossene Orte (Läden, Kino), in der Schlange oder in der Gruppe stehen sowie das Verlassen der eigenen vier Wände oder die Entfernung von potenziellen Helfern bzw. ertragen diese Situationen nur mit großen Ängsten.

Häufig geht diese Symptomatik mit Panikattacken einher. Den Betroffenen ist dabei im Wesentlichen klar, dass ihre Befürchtungen übertrieben bzw. unbegründet sind. Dennoch kann der Teufelskreis aus Befürchtungen, körperlichen Angstsymptomen, angstverstärkenden Bewertungen und Vermeidungsverhalten Ausmaße annehmen, die den Handlungsspielraum und Aktionsradius erheblich einschränken sowie eine normale Lebensführung unmöglich machen.

Diese Art der Angststörung ist – wie der Name sagt – durch generalisierte Befürchtungen bestimmt: Die Betroffenen machen sich übertriebene Sorgen über vielfältige Umstände und Gefahren. Sie sind dabei außerstande, das Grübel- und Sorgenkarussell zu stoppen. Dies führt zu Ruhelosigkeit, Erschöpfbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Irritierbarkeit, ständiger Muskelanspannung und Schlafstörungen, die zusammen genommen die Funktionsfähigkeit erheblich einschränken können.

Sich zu sorgen stellt ein zweischneidiges Schwert dar: Sosehr viele Betroffene einerseits unter ihren katastrophisierenden Gedanken leiden und beginnen, sich über das Sich-Sorgen zu sorgen (negative Meta-Sorgen: „Wenn ich meine Sorgen nicht kontrolliere, werde ich noch verrückt!“, „Wenn ich nicht aufhöre, mich ständig zu sorgen, bekomme ich noch einen Herzinfarkt!“), so sehr verteidigen sie auch ihr Sicherheitsverhalten und erleben das Sich-Sorgen als eine Strategie, um mögliche künftige Probleme vorwegzunehmen und sich vorsorglich Lösungen zu überlegen. Hier liegen zumeist positive Meta-Sorgen zugrunde, wie zum Beispiel „Wenn ich mich sorge, bin ich auf alles vorbereitet und habe Kontrolle!“, „Sich zu sorgen hilft mir, meine Probleme zu lösen!“. Es liegt auf der Hand, dass derartige Einstellungen geeignet sind, das zentrale Symptom – ständiges sorgenvolles Grübeln – zu verstärken. 

Unsere Behandlung von Angststörungen

Angst ist ein sinnvolles, überlebenssicherndes Gefühlssignal. Allerdings ist Angst nur hilfreich, wenn die zugrunde liegende „Bewertung“ realistisch ist. Im Falle der beschriebenen Angststörungen ist die Angstreaktion eindeutig übertrieben – sowohl was den Anlass als auch was den Umfang betrifft. Allen Angststörungen ist gemeinsam, dass das Angstsignal zu leicht aktiviert wird, dass es zu stark ausgeprägt ist und dass es das Verhalten des Betroffenen – entgegen dessen vernünftiger Selbsteinschätzung – zu beherrschen beginnt. Bei der Entwicklung bzw. der Aufschaukelung solcher Angstmuster spielt die Vermeidung angstauslösender Situationen eine maßgebliche Rolle: Je mehr man sich selbst zu beruhigen versucht bzw. angstauslösende Situationen vermeidet, desto empfindlicher wird das Angstsystem und desto leichter wird es aktiviert. Die Therapie der Angststörungen zielt deshalb darauf ab, das Angstsystem neu zu kalibrieren, d. h. einzustellen. 

Die Neueinstellung des Angstsystems erfolgt idealerweise in drei Schritten: In einem ersten Schritt beginnt der Betroffene die Zusammenhänge zu verstehen und entscheidet sich für eine aktive Re-Kalibrierung. Dies geschieht in einem zweiten Schritt mittels Konfrontationstherapie: Der Patient lernt Bewältigungsfertigkeiten, um den Teufelskreis aus Angst, Vermeidung und zunehmender Hilflosigkeit zu durchbrechen.

Er erkennt, dass Angst keine Katastrophe, sondern ein Gefühl ist, dass das Angstsignal nicht ständig hoch sein kann, sondern auf Dauer nachlässt und dass er durchaus zu anderen „Bewertungen“ der kritischen Situationen in der Lage ist. Auf diese Weise lässt sich der etablierte Teufelskreis der Angst gewissermaßen zurückdrehen. Wir führen Konfrontationstherapien in intensiven, täglich stattfindenen Übungen durch, die zunächst therapeutisch angeleitet werden. Je besser dies gelingt, desto mehr ist der Patient gehalten, sich selbständig systematisch mit seinen Ängsten zu konfrontieren. In einem dritten Schritt schließlich geht es darum, die Bedingungen, die zur Entwicklung der Angststörung geführt haben, genauer in den Blick zu nehmen und zu verändern.


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