Medizinisches Cannabis: Prof. Dr. Judith Alferink (Alexianer Münster) skizzierte Aktuelles aus der Forschung.
Eine kleine Pflanze mit großer Wirkung, aber Vorsicht! Auf diese Kurzformel könnte man das überaus vielseitige Potenzial des medizinischen Cannabis reduzieren, das seit gut zwei Jahren in strengem Rahmen als Medikament von Ärzten verordnet werden darf.
„Die sehr komplexe Wirkweise, eine bisher noch unzureichende Studienlage und wenig Erfahrung in der Verordnungspraxis machen den Einsatz von medizinischem Cannabis für uns Mediziner zurzeit noch schwierig“, skizzierte Prof. Dr. Judith Alferink beim jüngsten Alex Talk, unterstrich aber auch: „Cannabinoide bergen auch Chancen und nach ein paar Jahren weiterer Forschung und Praxis können wir sie sicher bei einigen Erkrankungen noch viel gezielter als ein wirksames Therapeutikum einsetzen“.
Schon seit Jahrtausenden ist die heilsame Wirkung der Nutz- und Zierpflanze bekannt und galt früher – etwa im alten China – bereits als wirksames Mittel gegen Gicht, Rheuma oder Malaria. Auch unser Körper selbst verfügt über ein körpereigenes Endocannabinoidsystem und damit als Teil des Nerven- und Immunsystems über entsprechende „Andockstellen“ für Cannabinoide und Substanzen, die Endocannabinoide im Körper herstellen und abbauen. Das Endocannabinoidsystem reguliert viele Vorgänge im Körper wie zum Beispiel Schmerz, Schlaf und zahlreiche Prozesse des Immunsystems.
Genau diese „zweischneidige Wirkweise“ an verschiedenen Orten im Körper mache den differenzierten Einsatz schwierig: „Denn wir wollen oft verschiedene Wirkweisen, wie etwa die entzündungshemmende Komponente, gezielt abrufen, nicht aber die berauschenden Effekte im Gehirn“, erläuterte die Chefärztin des Alexianer-Krankenhauses Münster. Bei welchen Erkrankungen Cannabinoide aber gleichwohl ein sinnvolles Therapeutikum sein können, beschreibe eine aktuelle Studie vom Bundesgesundheitsministerium, die eine Art Zusammenfassung vieler Einzelstudien zu zahlreichen Erkrankungen beinhalte.
Danach sei etwa bei schweren Formen von Übelkeit und Erbrechen wie beispielsweise bei Chemotherapie die Anwendung von medizinischem Cannabis sinnvoll, zumal es zusätzlich leicht appetitsteigernd wirke. Damit komme das Medikament häufig auch in der Palliativmedizin zum Einsatz.
Sehr genau hinschauen und engmaschig ärztlich kontrollieren müsse man den Einsatz besonders bei psychischen Erkrankungen wie etwa Schizophrenie, Ängsten oder posttraumatischen Belastungsstörungen: „Denn ein Zuviel in der Dosis kann hier genauso kontraproduktiv wirken“.
Bei demenzerkrankten Patienten könnten Cannabinoide die Schlafstörungen und Unruhe verbessern, wobei medizinisch wirksame Bestandteile von Cannabis auch experimentell die Alzheimer-Ablagerungen im Gehirn reduzieren können. Auf ähnliche Weise hätten Cannabinoide in Versuchen auch leichte altersbedingte Entzündungsreaktionen im Gehirn bei Mäusen reduzieren können und diesen wieder zu einer verbesserten Gedächtnisleitung verholfen, skizzierte Alferink aus jüngsten Forschungsversuchen.
Dennoch mahnte sie abschließend zur Vorsicht bei jedem einzelnen therapeutischen Einsatz von medizinischem Cannabis: „Wir stehen hier noch immer erst am Anfang und es fehlen aussagekräftige Studien, damit wir das neue Heilmittel noch versierter einsetzen können.“