Sie sehnt sich nach einer Freiheit, die sie nicht zu nützen wüßte. Sie kämpft um eine Freiheit, die sie vernichten würde. Sie könnte schön sein, wäre sie gepflegter, wären Gesicht und Hals nicht von Narben entstellt, wäre das Schicksal gnädiger mit ihr verfahren. Wer hat Geduld, so viele »wäre« auszuwiegen? Und doch ist sie ein Mensch. Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Sie heßt Viktoria, die Siegreiche. Ein Karikatur gewordener Name für eine zur Karikatur gewordene Existenz.
Der Roman der aus Paderborn gebürtigen, deutsch-jüdischen Schriftstellerin Jenny Aloni (1917–1993) zählt zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der deutschen Literatur. Die Ich-Erzählerin ist Insassin einer psychiatrischen Klinik. Selbst psychisch bedrängt, beschreibt sie aus der Innenperspektive ihre Umgebung, Wahnvorstellungen und Realität vermischen sich. Die gesamte Niederschrift ist geprägt von Angstvisionen, Verfolgungswahn, Schuldgefühlen. Die davon bestimmte Sicht der Umwelt, die Auflösung der Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität, greift über in die Sprache und Struktur des Erzählens.
Der Roman stellt einen der ersten Versuche dar, über das in Deutschland wie in Israel bis dahin weitgehend verdrängte Thema der seelischen Verwüstungen zu schreiben, die das Leben zahlreicher Exilanten und Überlebender der Shoah prägten.
Carsten Bender, geboren 1973, ist seit 2005 freier Schauspieler und Sprecher in Münster. Vor dreizehn Jahren gründete er sein eigenes freies Theaterlabel „GLOSTER Productions“. Walter Gödden, geboren 1955 in Beckum, ist Geschäftsführer der Literaturkommission für Westfalen und wissenschaftlicher Leiter des Museums für Westfälische Literatur Haus Nottbeck. Seit 2007 ist er zugleich Honorarprofessor am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn.