Dr. Tillmann Ruland informierte beim Alex-Talk über Zwangserkrankungen.
Angstauslösende Gedanken, eine hohe Anspannung oder auch Fehlvorstellungen in der situativen Bewertung: Menschen mit Zwangserkrankungen veranlasst oft eine ganze Reihe von unglücklichen Verkettungen zum ständigen und zwanghaften Wiederholen von Handlungen oder Gedanken. Ob ständiges Kontrollieren, penibles Sortieren, übertriebenes Hände waschen, wiederkehrende Gedanken oder auch die an sich zwanghafte Persönlichkeitsstruktur – die Formen der Erkrankungen sind genau so vielfältig und verschieden wie die Menschen selbst. „Oft ertragen Betroffene ihren sehr hohen Leidensdruck bis zu sieben Jahre, bevor sie sich gezielte Hilfe holen“, berichtet Dr. Tillmann Ruland.
Beim 3. digitalen Alex-Talk live aus der Waschküche erläuterte der Oberarzt der Alexianer Fachklinik Maria Brunn für Psychiatrie und Psychotherapie im Gespräch WN-Redakteur Stefan Werding die Facetten und Behandlungsmöglichkeiten dieser komplexen psychischen Erkrankung.
„In der sechs- bis achtwöchigen Therapie versuchen wir zunächst herauszufinden, wo das eigentliche Problem für die Zwangshandlung liegt und welche verborgene Emotion dahintersteckt“, erklärt der Alexianer-Experte, denn: „Durch die Zwangshandlung vermeiden die Patienten im Prinzip die Beschäftigung mit ihrer inneren Anspannung.“ Sofern sich der Patient aktiv dafür entscheide, begebe man sich mit ihm nach gründlicher Vorbereitung in einem weiteren Schritt in eine konkrete Zwangssituation. „Ziel dieser begleitenden Übung ist letztlich das Ausharren in der Anspannung bis zu ihrem höchsten Punkt und der anschließenden Wiederabnahme“, skizziert Ruland. Dieses gemeinsame Üben unter professionellem Reaktionsmanagement werde dann nach und nach wiederholt und so erlerne der Patient am Ende: „Ich entscheide mich, die mit seinem Zwang einhergehende Anspannung auszuhalten!“
Dass neben den Betroffenen selbst auch Angehörige stark mitleiden, unterstrichen die anschließenden Publikumsfragen: „Für Angehörige ist das Zusammenleben eine große Herausforderung und sie werden oft Teil des Systems“, erklärte der Facharzt: „Ich kann Angehörigen nur raten, die Betroffenen immer wieder zur Behandlung zu motivieren. Denn je länger man wartet, desto schwieriger wird es, erfolgreich Widerstand gegen die eigenen Zwangshandlungen zu leisten.“
Auch die besonders belastende Coronazeit kam zur Sprache. Ruland: „Natürlich hat der Stresslevel gerade für Menschen mit Zwängen durch Corona deutlich zugenommen und für sie vieles nochmals bedrohlicher gemacht. Doch darüber hinaus wird es sicher auch für jeden Nichterkrankten eine Herausforderung nach Abflachen der Pandemie wieder zu einem normalen Umgang mit der alltäglichen Virenlast zurückzufinden.“