„Identitätsfindung ist heute um einiges komplexer“

AlexTalk
Beim Alex-Talk widmeten sich Dr. Christopher Kirchhoff (l.) und WN-Redakteur Stefan Werding der Identitätsbildung bei Kindern und Jugendlichen und deren Bedeutung für psychische Gesundheit.

, Alexianer Münster GmbH

Alexianer-Chefarzt informierte über die Bedeutung der Identitätsbildung bei Kindern und Jugendlichen:

Eines wurde beim jüngsten Alex-Talk schnell deutlich: Das Kennen der eigenen Identität hat auch immer etwas mit Stabilität, Ausgeglichenheit und Resilienz zu tun. „Und genau deshalb spielt sie auch auf vielen Ebenen in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle“, stellte Dr. Christopher Kirchhoff grundlegend fest. Der Chefarzt der Alexianer Don Bosco Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie widmete sich ausführlich dem komplexen Thema der Identitätsentwicklung und deren wichtige Bedeutung für psychische Gesundheit.

Getreu dem philosophischen Leitspruch „Erkenne Dich selbst“ sei das Ausloten der eigenen Identität ein lebenslanger und komplexer Prozess, der auch immer im sozialen Kontext stattfindet“, erläuterte Kirchhoff. Denn er unterliege stets auch einer Anerkennungsdynamik seitens der Umwelt.

Ebenso wirkten heute natürlich auch die sozialen Medien bei der Identitätsentwicklung stark mit. Hier sieht der Kinder- und Jugendpsychiater vor allem in der oft sehr schnellen und unreflektierten Interaktion Gefahren: „In Sekunden geben wir unserem Gegenüber über Likes und Dislikes Rückmeldungen auch zum eigenen Ich, ohne dass wir die Person dahinter eigentlich wirklich kennen. Kinder und Jugendliche laufen damit schnell in Gefahr, diese Daumen hoch und runter oder Lust/Unlust-Mentalität dann unreflektiert in die analoge Welt zu übertragen, was eben oft nicht funktioniere“. Es fehle dann die Differenzierung und dies wiederum führe zu mehr Polarisierung. 

Auf der anderen Seite biete das Internet aber auch die vielen Möglichkeiten der Kommunikation, sich vielfältig auszuprobieren oder selbst zu erfinden.

Als Vater oder Mutter stehe man dem „digitalen Schwergewicht“ häufig machtlos gegenüber, doch Kirchhoff riet: „Statt umfassender Kontrollen unterstützen wir die Kinder sicherlich auch, wenn wir ihnen Souveränität in der Bewertung des Netzgeschehens vermitteln“.

Denn was letztlich den Druck bei der digitalen Identitätsentwicklung erhöhe, sei vor allem die vermehrte Abhängigkeit von der digitalen Anerkennung in Form von Followern und Likes. Für die psychische Stabilität der Heranwachsenden aber wichtiger als der Blick der Außenwelt sei zu schauen: „Was ist innen in mir los? Was sagt mir mein Herz oder mein Bauch gerade über mich?“

Im Idealfall entwickelte sich das eigene Ich quasi deckungsgleich und in Balance mit dem „öffentlichen Ich“. „Kommt es hier aber zu Spannungen, weil ich etwa dauerhaft in eine mir von außen auferlegte Rolle schlüpfe, können sich hieraus so genannte Identitätsnotfälle oder gar auch psychische Erkrankungen entwickeln“, so der Jugendexperte.

Die Pubertät sei die Phase der größten Identitätssuche und die Heranwachsenden in diesem Lebensabschnitt häufig sehr fragil und verletzlich. „Und wir gehen heute davon aus, dass sich diese Suche manchmal noch bis zum 27.Lebensjahr hin ausdehnt, was nicht zuletzt auch den immer diffuser und flexibler werdenden Rahmenbedingungen zum Finden der eigenen Identität geschuldet ist.“                    

Stream zum Nachschauen unter: www.alexianer-muenster.de/unternehmen/aktuelles/mediathek