„Rechtzeitig Hilfe suchen, ist immer der bessere Weg!"

Expertenteam
Vier Experten standen bei allen Fragen rund um das Thema „Belastungen und Krankheit im Job“ zur Verfügung: Bärbel Brünger, Dr. Christoph Theiling, Gisela Stepniak und Dr. Katharina Fastenrath (v.l.n.r.)

, Alexianer Münster GmbH

Expertenteam beantwortete Fragen zu Belastungen und Erkrankungen am Arbeitsplatz.

Die ungewohnten Rahmenbedingungen im Homeoffice, ein schwerkranker Angehöriger zuhause neben einem stressigen Job oder auch die Angst vor einem schon besetzten Arbeitsplatz nach längerer Krankheit: Die ganze Bandbreite an Themen rund um Belastungen und Erkrankungen am Arbeitsplatz standen im Mittelpunkt der Telefonaktion, die unsere Zeitung in Kooperation mit vier Expertinnen und Experten der Alexianer Münster, des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) und des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) angeboten hatte. Zwei Stunden lang stand das Expertenteam Rede und Antwort: 

„Ich leide an chronischer Erschöpfung und eine Antwort darauf ist unkontrolliertes Essen im Übermaß“, berichtet ein Anrufer. „Hier kann Ihnen eine nur ein zweigleisiger Ansatz helfen“, empfiehlt Dr. Christoph Theiling, Leitender Oberarzt des Fachbereichs „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ an der LWL-Klinik Lengerich: „Wenden Sie sich an eine psychosomatische Ambulanz und suchen Sie sich parallel ernährungsmedizinische Hilfe“.  


„Mein ohnehin schon stressiger Job hat sich coronabedingt nochmal verschärft und zugleich muss ich mich gerade sehr um meine schwerkranke Frau kümmern, die andauernde Doppelbelastung überfordert und erschöpft mich total“, berichtet ein anderer Anrufer. In einer solchen Ausnahmesituation müsse man die Notbremse ziehen, um sich selbst gesundheitlich stabil zu halten oder es wieder zu werden: „Ziehen Sie sich für einige Wochen jobmäßig raus und beantragen Sie eine stationäre Kur“, lautete hier der ärztliche Rat.  


Ein anderer Anrufer berichtet, dass er seinen Urlaub gar nicht erst antrete, weil er Angst vor der Bearbeitung und Bewältigung der anschließenden E-Mail-Flut habe. Doch Urlaub sei Urlaub und die Erholung wichtig, erläutert Theiling und gibt dem Anrufer Tipps, wie und wo er lernen kann, mit solchen extremen Anforderungen systematisch umzugehen statt sie zu vermeiden. 


„Ich habe lange Zeit 13 Stunden täglich gearbeitet und die körperlichen wie auch seelischen Alarmsignale gar nicht mehr wahrgenommen“, erklärt eine andere Ratsuchende. Dr. Theiling warnt: „Andauernde oder immer wiederkehrende Schmerzen sind häufig die Vorboten einer chronischen Erschöpfung, die man nicht unendlich ignorieren kann“. 


Viele Fragen zum Thema berufliche Wiedereingliederung erreichten Dr. Katharina Fastenrath, Betriebsärztin für das Alexianer-Krankenhaus, die Raphaelsklinik und das Clemenshospital. „Grundsätzlich sollte man die Wiedereingliederung kleinschrittig und individuell festlegen“, empfahl die erfahrene Medizinerin. Die Maßnahme selbst müsse zudem mit dem Arbeitgeber und auch der Krankenkasse abgestimmt werden, denn: „Betrieblich muss dies natürlich auch machbar sein“. Die Herausforderungen im Home-Office machte ein männlicher Ratsuchender deutlich: „Was mache ich gegen die häusliche Isolation? Mir fehlt einfach der Austausch mit den Kollegen“. Gerade männlichen Arbeitnehmern fiele die Situation im Homeoffice oft schwerer, insbesondere, wenn sie zusätzlich noch kleinere Kindern betreuen müssten, berichtet Fastenrath. 


Und auch die rechtliche Absicherung ist zuhause eine andere als die im Büro: „Bin ich versichert, wenn ich im Homeoffice einen Arbeitsunfall erleide?“, fragte sich etwa ein Anrufer. „Zuhause sind Arbeitnehmer nur direkt am Arbeitsplatz oder dem unmittelbaren Weg dorthin versichert“, erklärt die Alexianer-Expertin. Der Sturz auf der Treppe beim Gang in den Keller zum Getränke holen oder auf dem Weg zum Kaffee in die Küche zähle beispielsweise nicht dazu und es erfordere daher immer eine sehr differenzierte Betrachtung. 


Auch die Übernahme von Kosten, etwa aktuell für die Grippeschutzimpfung, zählten zu den Fragen: „Mein Arbeitgeber will die Kosten nicht übernehmen und verweist mich an meine Krankenkasse“, klagt eine Anruferin. Grundsätzlich übernehmen die Krankenkassen die Kosten für alle Risikogruppen und hierzu zählen nach der Ständigen Impfkommission (STIKO) alle Versicherten über 60 Jahre, chronisch Kranke, Vorerkrankte, Schwangere sowie auch Menschen, die beruflich einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt seien, erläuterte Fastenrath. In vielen Grenzfällen lohne sich zudem eine gezielte Rückfrage bei der Krankenkasse, die in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie fast immer großzügig zugunsten der Anfragenden entscheide. 


Auch nach einer längst erfolgten Kündigung die noch fortbestehende psychische Belastung mithilfe ambulanter Angebote aufzuarbeiten, empfahl Gisela Stepniak, Fachkraft für betriebliches Gesundheitsmanagement bei den Alexianern, einer Anruferin und stellte fest: „Der viel offener gewordene Umgang bei psychischen Problemen hat sich hier heute bestätigt!“


Bärbel Brünger vom Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek), Landesvertretung NRW bilanzierte: „Es zeigte sich heute vielfach, dass es in den Betrieben noch immer zu wenig Wissen um die von vielen Krankenkassen angebotenen Programme und Präventionsprojekte gibt.“ Dabei sei eine Vorbeugung von Erkrankungen doch nicht nur für die Arbeitnehmer selbst, sondern genauso für die Arbeitgeber der letztlich deutlich „kleinere Schaden“ in jederlei Hinsicht.