"Die Welt mit anderen Augen sehen"

AlexTalk
Alexianer-Experte Thomas Miebach (EOS Klinik) blickte beim Alex-Talk im Gespräch mit WN-Moderator Stefan Werding (r.) umfassend in die Welt von autistisch veranlagten Menschen.

, EOS-Klinik, Münster

Großes Interesse beim jüngsten Alex-Talk: Dipl.-Psychologe Thomas Miebach stellte das Thema Autismus vor.

Emotionslose Erbsenzähler, Einzelgänger, mathematische Superhelden oder auch penible Dauersortierer. Diese oder ähnliche Bilder kursieren nicht selten in den Köpfen vieler Menschen, wenn sie an autistisch veranlagte Menschen denken.

Doch das Leben von und mit Betroffenen stimmt nur sehr bedingt mit diesen Klischees überein, das wurde beim jüngsten Alex-Talk zum Thema Autismus schnell deutlich.

„Unter all den vielen Facetten, die es auch in den autistischen Welten gibt, könnte man zumindest sagen, dass die Welt von Autisten auf jeden Fall irgendwie anders tickt“, skizzierte Dipl.-Psychologe Thomas Miebach den gemeinsamen Nenner. Damit räumte der Alexianer-Experte und Leiter der Diagnostik-Ambulanz Autismus in der EOS-Klinik nicht nur mit so manchen Vorurteilen auf, sondern gab den zahlreichen Zuschauer vor Ort und an den Bildschirmen zuhause auch einen umfassenden Einblick in das autistische Erleben sowie wertvolle Tipps für den Alltag.  

„Grob gesagt, geht es für das Umfeld von Betroffenen im Prinzip darum, anzuerkennen, dass Autisten die Welt mit anderen Augen sehen“, bemerkte Miebach.

Auch die noch immer verbreitete Ansicht, eine gefühlskalte Erziehung könnte ursächlich für diese tiefgreifende Entwicklungsstörung sein, sei völlig falsch: „Heute gehen wir davon aus, dass Autismus genetisch bedingt ist, was damals schon Hans Asperger nach seinen frühen Studien innerhalb von Familien von Betroffenen angenommen hat.“ Insgesamt hätten sich die Fallzahlen in den letzten Jahrzehnten nahezu „inflationär“ nach oben entwickelt, was zum einen an einem Mehr an Diagnostik, zum anderen aber auch an differenzierten Diagnosen liege.

 „Insgesamt schauen wir immer darauf, ob es schon Hinweise in der Kindheit gegeben hat, die sich dann durchaus auch erst im weiteren Verlauf des Lebens manifestieren können“, erläuterte der Experte.

Grundsätzlich sei Autismus nur dann als krankhaft einzustufen, wenn der Leidensdruck aufgrund des „Andersseins“ so groß werde, dass er krankmache, zum Beispiel zu Depressionen führe. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft habe man eben Nachteile, wenn man nicht teamfähig, kommunikativ oder flexibel sei, so gesehen hätten es Autisten natürlich oft schwerer im Leben.

Auf der anderen Seite profitieren viele Betroffene auch von ihren besonderen Fähigkeiten: „Für Greta Thunberg, eine unserer bekanntesten Autistinnen, ist es etwa nur logisch und konsequent, sich mit ganzer Kraft auf die Klimarettung zu konzentrieren und sie verfolgt dieses wichtige Ziel mit einem sehr hohen Maß an Ausdauer und Fachwissen.“

In der nicht immer ganz einfachen Abgrenzung zu teils von den Symptomen ähnlich gelagerten anderen Auffälligkeiten wie ADHS oder auch der Hochsensitivität filtert Miebach vor allem ein gravierendes Unterscheidungsmerkmal heraus: „Autistisch veranlagte Menschen haben Schwierigkeiten mit dem intuitiven Verständnis in sozialen Situationen, das ist bei den anderen Störungen in der Regel nicht der Fall“.

Und was hilft bei sehr starkem Leidensdruck? „Hier ist Akzeptanz ein wichtiger Faktor. Sowohl das Umfeld, wie die Betroffenen selbst, die oft auch viel Ablehnung in ihrem Leben erfahren, müssen das Anderssein annehmen. Bis zu einem Teil können wir zudem verhaltenstherapeutisch viel hilfreiche Unterstützung für den sozialen Alltag geben“.

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