Alex Talk mit Alexianer-Oberärztin Dr. Sylvia Boschin und Schulleiterin Anne Kemper:
Die Botschaft der gemeinsamen Betrachtung auf die Praxis war am Ende klar umrissen: Im Optimalfall stünden für eine gut funktionierende Inklusion an den Schulen genügend Ressourcen an sonderpädagogischen Lehrkräften zur Verfügung. Diese würden sich schulintern, aber auch mit externen Begleitern und Eltern intensiv austauschen, die Schule selbst würde über eine ausreichend gute Ausstattung verfügen und die Förderung der Kinder würde so früh wie möglich starten.
„Leider klaffen Theorie und Praxis im Alltag der Inklusion aber noch sehr weit auseinander“, betonte Dr. Sylvia Boschin, Oberärztin der Alexianer Don Bosco Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gemeinsam mit ihrer Schwester Anne Kemper, die als Schulleiterin und Sonderpädagogin täglich die schulischen Herausforderungen der Inklusion erlebt, tauschte sich die Alexianer-Expertin schon vielfach über den eigenen Tellerrand hinaus aus. Und daraus entstand nun die Idee für einen eigenen Talkabend mit allen mitarbeitenden Berufsgruppen.
Das große Interesse am interdisziplinären Austausch zeigte sich beim jüngsten Alex Talk deutlich: Viele Sonder- und Sozialpädagogen aus Münsteraner Regel- und Förderschulen, Institutionen sowie Eltern und Therapeuten unterstrichen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit auf allen Ebenen.
Ein 5-jähriges Grundschulkind mit Schreiattacken, ein 17-Jähriger mit Depressionen oder ein zwangserkrankter Schüler – die Bandbreite an Förderbedarf erläuterten die beiden Referentinnen mit anschaulichen Fallbeispielen. „Einschätzungen von Studien variieren und sehen bei 3,5 bis 19 Prozent der Grundschüler eine Verhaltensstörung. Tatsächlich sind 10-20 Prozent der Kinder aufgrund ihrer psychischen Störung tatsächlich behandlungsbedürftig“, erläuterte Boschin zu Beginn. Immerhin 50 Prozent der Kinder mit Verhaltensstörungen wiesen zudem eine Lernstörung auf.
Beim klinischen Blick auf auffälliges Schülerverhalten habe sich der Mehrebenen-Ansatz bewährt: „Familiäre Belastungen, soziales Umfeld, gesellschaftliche Abwertung oder auch genetische Vorbelastungen – fast nie gibt es für das auffällige Verhalten nur die eine Erklärung, sondern es ist die Summe aus vielen Faktoren“, betonte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Genauso fatal seien daher voreilige Schuldzuweisungen an Eltern oder Schule, denn oft spiele alles zusammen eine Rolle.
Die klinischen wie schulischen Interventionen sollten im Idealfall genauso individuell sein wie jedes förderbedürftige Kind selbst. „An erster Stelle sollte sich das Kind in seiner Schule wirklich sicher und von den Lehrern angenommen fühlen“, ergänzte die Sonderpädagogin. Speziell an ihrer Schule im Kreis Paderborn habe sich der so genannte blaue Ordner bewährt, ein struktureller Leitfaden für das Vorgehen bei Kindern mit herausforderndem Verhalten. Auch einfache und wirklich gelebte Schulregeln seien hilfreich. Ebenso eine Art Motivations-Skala für die Schüler zur Regulation ihres Lern-Verhaltens: „Denn Kinder lassen sich durch Lob eben am besten motivieren“, so Kemper und ergänzt: „Vieles ist eine Frage der Haltung gegenüber den Kindern und ihren Eltern!“
Von viel früher startenden Hilfen für die Kinder, einer besseren Verzahnung aller Angebote, über Chancen der Digitalisierung bis hin zur Arbeit an der Entstigmatisierung lautete ein Fazit beim regen Austausch am Ende: „Es gibt noch viel zu tun, aber es ist für jeden Einzelfall die gemeinsame Anstrengung wert!“